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LH Peter Kaiser zu 100 Jahre Kärntner Volksabstimmung, Wende in Kärnten, u. Hofburg-Kandidatur

"Kurier" vom 27.09.2020

"Jeder trägt Humanität in sich"
100 Jahre Kärntner Volksabstimmung. Peter Kaiser über die schmerzhafte Geschichte eines ethnischen Konflikts, die große Wende in Kärnten, und was man im Umgang mit Zuwanderern daraus lernen kann
Von Daniela Kittner

KURIER: Herr Landeshauptmann, Kärnten feiert am 10. Oktober 100 Jahre Volksabstimmung. Von den 100 Jahren wurden mehr als 90 zwischen den Volksgruppen gestritten. Kärnten war für den Konflikt verschrien. Heute gilt das Land als eines, das die Wende geschafft hat, wo verschiedene Identitäten gut miteinander leben. Ganz ehrlich - ist dieses Image berechtigt? Sind die Spannungen echt weg?

Peter Kaiser: Dieses Außenbild ehrt uns und zeigt, dass sich Enormes verändert hat. Aber mir ist bewusst, dass es noch viele Möglichkeiten des Verbesserns und des Fortentwickelns gibt. Wir befinden uns in einem Prozess. Und genau das ist die Botschaft dieses Jubiläums: Wir bekennen uns zu diesem Land, seinen Menschen, seiner Geschichte und zu seinen schweren Stunden, die viele ungeschehen machen möchten - die Deportation der Slowenen, die Gräuel der NS-Zeit. Sich der Geschichte zu stellen, daraus zu lernen ist die Basis, gemeinsame Zukunftschancen zu generieren. In diesem Sinne wird die 100-Jahr-Feier nach vorne gerichtet sein, eine Zeitreise in die Zukunft. Das Erarbeiten der gemeinsamen Geschichte war nicht einfach, vieles war schwer verzeihlich. Aber wir sind in der Überwindung. Und die Vorteile, sei es in der Sprache, sei es bei Kooperationen und gemeinsamen Perspektiven, sind bedeutend.

Kann man aus der Geschichte Kärntens, aus der Diskriminierung einer ethnischen Gruppe, etwas ableiten, wie wir mit unseren Zuwanderern, die oft in der zweiten und dritten Generation immer noch diskriminiert werden, umgehen sollten?

Die Problemlagen sind schon sehr verschieden. Die Gemeinsamkeit ist: Es geht um Humanität im Zugang zu Menschen, die anders sozialisiert sind als man selbst.

Ein heftiger Streitpunkt in Kärnten war, dass Kindern mit slowenischer Muttersprache das Recht auf schulische Erziehung nicht nur in Deutsch, sondern auch in ihrer Muttersprache gewährt wurde. Wie ist es mit Zuwandererkindern? Sollen diese auch das Recht haben, in ihrer Muttersprache zumindest alphabetisiert zu werden?

Das ist wissenschaftlich erwiesen, und ich sehe das auch so, dass man sowohl die Sprache des neuen Heimatlandes oder Gastlandes, aber auch die eigene Muttersprache in Wort und Schrift erlernen sollte. Sprache trennt nicht, Sprache verbindet. Das haben wir in Kärnten gelernt. Wir hatten hier übrigens die meisten Anmeldungen für die Sommerschule. Das zeigt, dass die Zuwanderer bereit sind, sich zu integrieren und zu lernen, und dass sie trotz Ferien die Chancen, die ihnen geboten werden, ergreifen.

In Kärnten wurde eine Lösung des Volksgruppenkonflikts lange durch populistische Politiker hintertrieben ...

Populismus ist nicht ganz korrekt. Es war die Instrumentalisierung von vermeintlich latent vorhandenen und jederzeit aktivierbaren Vorurteilen. Vor allem vor Wahlen ist das immer wieder geschehen. Dass das jetzt nicht mehr so einfach möglich ist, daran kann man die positive Entwicklung in Kärnten erst wirklich erkennen. Endlich wurde das durchschaut, endlich sind andere Dinge wichtiger. Das ist die wirkliche große Wende in Kärnten.

Wenn jetzt jemand käme und sagte, wir fangen wieder an, Ortstafeln abzumontieren, würde das die Bevölkerung nicht mehr gutheißen?

Es würde mit großer Mehrheit abgelehnt werden. Im Gegenteil, viele Gemeinden stellen freiwillig zweisprachige Ortstafeln auf. Das ist auch eine große Klammer der Landeskoalition aus SPÖ und ÖVP: weithin bekannt zu machen, dass Kärnten sich politisch und ökonomisch gewandelt hat. Wir sind ein Industrieland, nicht der rauchenden Schlote, sondern der sauberen Technologie. Man arbeitet hier an einem Ort, an den andere auf Urlaub fahren.

Wenn wir von Populismus reden - in Ihrer Partei ist der auch nicht ganz fremd, siehe Hans-Peter Doskozil und seine Ablehnung von Kindern aus Moria. Wie viel Populismus braucht man in der Politik? Muss man Vorurteile schüren, um Erfolg zu haben?

Für mich sind Vorurteile bereits Urteile. Das lehne ich ab. Aber ich halte es für mehr als akzeptabel, dass in brennenden Fragen, wo Emotion, Vernunft, verschiedene Meinungen aufeinanderprallen, auch in entsprechender Form argumentiert wird. Bei Moria geht es jedoch um die schutzlosesten Wesen in unserer Gesellschaft. Da geht es nicht darum, Bilder aus dem Jahr 2015 heraufzubeschwören, sondern darum, ein paar Kindern - 400 für die gesamte EU -, die keinerlei Bedrohung darstellen, eine Chance zu geben. Ich kann den Argumenten sogar folgen, dass das Folgewirkung haben könnte und auch andere Flüchtlinge ihr Lager anzünden. Aber in Abwägung dessen bin ich der Meinung, dass wir die menschliche Pflicht haben, zu helfen bei gleichzeitiger Beschleunigung dessen, was die Regierung und auch die SPÖ vorschlagen: Hilfe vor Ort. Ich bin von froh, dass Von der Leyen jetzt den x-ten Anlauf nimmt für eine gemeinsame EU-Asylpolitik. Aber das entbindet uns nicht von einer Entscheidung, ein paar Kinderaugen Zukunft zu geben - wenigstens als einen Akt, der die Grundhaltung dieses Landes widerspiegelt.

Ist die Humanität in der Politik abhandengekommen?

Ich würde das nicht auf die Politik begrenzen. Generell in der Gesellschaft waren bis Ende Februar 2020 das Mehr, der Blick auf den eigenen Bauch und neoliberale Prinzipien vorherrschend. Heute kommt Rücksichtnahme über das eigene, persönliche Umfeld hinaus wieder mehr zum Vorschein, es kommt Humanität wieder an die Oberfläche. Jeder trägt sie in sich, davon bin ich überzeugt, aber manchmal ist sie ein bisschen verschüttet, und das gilt es freizuschaufeln.

Bleiben wir gleich bei Corona. Kärnten hat die Sommersaison recht gut überstanden ...

Ja, da sind wir mit einem hellblauen Auge davongekommen.

Was muss getan werden, um die Wintersaison zu retten?

Wir müssen danach trachten, dass es keine Reisewarnungen gibt. Oder ihnen die faktische Grundlage entziehen. Und das geht nur durch ein gemeinsames Vorgehen von Bund und Ländern.

Im Frühjahr hat das Corona-Krisenmanagement gut funktioniert. Jetzt herrscht ein Kuddelmuddel, und es wurde viel verspielt. Was ist denn da passiert? Was ist jetzt anders?

Es herrscht eine Abgehobenheit des Bundes von den regionalen Entscheidungsinstanzen, die zweifelsohne näher bei den Menschen sind und Stimmungen und lokale Entwicklungen besser erfassen. Im Frühjahr gab es bis zu drei Mal in der Woche eine Abstimmung zwischen Bundesregierung und Landeshauptleuten. Zwischen dem 15. Mai und dem 25. September gab es keine einzige Landeshauptleutekonferenz mit der Bundesregierung, vielleicht zwei Telefonkonferenzen. Mir scheint, der Föderalismus wird oftmals als zu mühselig betrachtet.

In Kärnten wird die Legislaturperiode gleichzeitig mit der des Bundespräsidenten auslaufen. Ist es denkbar, dass Sie für die Hofburg kandidieren?

Das ist nahezu undenkbar. Es sitzt ein sehr guter Bundespräsident in der Hofburg, von dem ich mir wünsche, dass er dort noch länger bleibt. Ich würde gern in Kärnten noch einmal antreten.